Mittwoch, 15. Oktober 2014

Mach`s gut, Oma

Meine Oma starb mit 93 Jahren am 6. September 2014, abends um halb sieben.
So richtig bewusst wurde mir das, als ich letztes Wochenende meinen Sohn für das Wochenende abholte, und vorher noch einen Abstecher zu meinen Eltern machte, die direkt neben meiner Oma wohnen.
Während einer Tasse Kaffee und einem Stück Kuchen, hatte ich schon die routinierte Frage „Was macht Oma?“ auf den Lippen, als mir klar wurde, das ich diese Frage nicht mehr stellen musste.
Oma ging es jetzt gut. Sie war gestorben.
Oma wurde 1921 geboren. Wie viele Damals, hatten ihre Eltern Landwirtschaft.
Wenn sie von früher erzählt hat, dann immer über den Krieg. Eine Zeit, die diese Generation geprägt hat. Meinen Opa hatte sie zu Kriegsausbruch schon gekannt. Er war Panzersoldat und in den Kriegsjahren ging es für ihn über Frankreich, die lybischen Wüste und Russland wieder zurück ins Saarland.
Meine Oma war eine selbstbewusste und resolute Person.
Politiker hielt sie zeitlebens für „Lumpenpack“. Später kamen noch die Pfarrer dazu.
Und sie hatte es faustdick hinter den Ohren!
Einmal, im Sommer 1945, wurden deutsche Kriegsgefangene von französischen Soldaten durch das Dorf geführt. Meine Oma erkannte unter ihnen Kriegskameraden meines Opas.
Sie wurden in der Nähe des Dorfes zum Entschärfen von Munition eingesetzt. So wie sie erzählt hat, war es den Gefangenen erlaubt sich außerhalb des Lagers zu bewegen, und so lud meine Oma die Kriegskameraden meines Opas zum Sonntagskaffee ein.
Eine Cousine meiner Oma besorgte bereits gestempelte Passierscheine für die französische Demarkationslinie bei Freisen.
Und so verhalf sie einer Hand voll deutschen Kriegsgefangenen zur Flucht.
Den französischen Soldaten, die sie auf der Suche nach den überfälligen Gefangenen befragten, konnte sie nur sagen, dass sie ihr Haus in Richtung Lager verlassen hatten.
Meine Oma hatte Rosen im Garten. Zig alte Rosenstöcke waren neben anderen Blumengewächsen in ihrem Garten vor dem Haus.
Eben vor diesem Garten spielten wir Kinder immer Fußball, und als Boris Becker damals Wimbledon gewann, auch Tennis. Wohlbemerkt: Wir reden hier von einer Straße mit 6% Steigung. Die Felder malten wir mit Kreide auf den Asphalt.
Und kaum waren wir im Spiel drin, stand meine Oma auch schon in der Haustür und ermahnte uns, nur ja nicht den Ball in ihren Garten zu schießen. „Wenn der Ball in dem Garten fliegt, ist er weg!“ drohte sie. Hin und wieder war der Ball auch weg. Aber nie für lange.
Meine Oma konnte 1a-Wurst machen.
Einmal im Jahr, meistens im Herbst, kaufte die ganze Familie ein halbes Schwein, das dann unter allen aufgeteilt wurde. Meine Oma ließ sich auch immer das Blut des Schweines liefern. Davon machte sie Blutwurst. Ich habe noch das Bild vor Augen, wie meine Oma bis zu den Ellenbogen in einer großen Wanne in dem Blut-Gewürze-Fett-Fettgemisch rührte.
Auch Hausmacher-Leberwurst machte sie selber.
Meistens gab es dann am nächsten Tag „Gefillde“, also „gefüllte Klöße“. Diese etwa grapefruit-großen Kartoffelklöße waren dann, wie es im Saarland traditionell üblich ist, gefüllt mit der selbstgemachten Hausmacher Blut- und Leberwurst und Lauch.
(Wer das Rezept haben möchte, kann mich gerne anschreiben!“)
Das sind Momente, die ich wirklich vermisse, wenn ich an meine Kindheit zurückdenke.
Linsensuppe konnte sie kochen. Die war ein Gedicht. Geschmacklich. Optisch war sie eher unbeschreiblich. Die Farbe würde ich als „grau“ bezeichnen. Mit Welschfleisch oder Rindermettwurst in der Suppe.
Der Hammer!
Noch mit fast vierzig bekam ich hin und wieder etwas von irh zugesteckt. Mal zwei Euro, mal 5 Euro.
Die Übergabe fand dabei manchmal statt, wie die Übergabe eines Rauschgiftpäckchens.
Verstohlen stellte sie sich neben mich, suchte beiläufig meine Hand, und übergb mir so das Geld.
„Hast ja nix.“ flüsterte sie dabei manchmal.
:-D
Meine Oma machte jeden Tag ihr Nickerchen in dem Sessel neben dem Ofen in ihrer Wohnküche.
Im Winter brannte der Ofen natürlich, und mehr als einmal kam ich bei einem Kurzbesuch in ihre Wohnküche , in der etwa 40 Grad Celsius herrschten, mit meiner Oma im Sessel sitzend und mit offenem Mund schlafend. Und der Sessel stand in nur zehn Zentimeter Abstand zum Ofen, wohl bemerkt! Brandschutztechnisch ein Albtraum.
Ich wartete dann immer einen Augenblick, um sicherzustellen, dass sie auch noch atmet. Dann ging ich unverrichteter Dinge wieder und ließ sie weiterschlafen.
Vor ein paar Jahren, in Mitte ihrer 80er Jahre, bemerkten wir erste Anzeichen von Demenz.
Plötzlich war sie davon überzeugt, dass ihr Nachbar sie vergiften wollte und Wasser in die Wand zu ihrer Küche leitete.
Sie begann Dinge zu vergessen.
So ging das eine Zeit lang, ohne dass es merklich schlimmer wurde.
Irgendwann vor zwei Jahren begann sich das Ganze dann zu verschlimmern, mit alle den unschönen Erscheinungen, die Demenz so mit sich bringt.
Sie baute zusehends körperlich ab. Irgendwann beschloss sie aus dem Bett nicht mehr aufzustehen. Sie aß nicht mehr richtig, nahm immer mehr ab und ein Darmtumor kam auch noch dazu.
Am 6.9.2014 starb meine Oma mit 93 Jahren, abends um halb sieben.
Sie durfte das ohne Schmerzen.
Und deswegen freue ich mich für sie.
Es geht ihr jetzt gut.
Mach`s gut, Oma.

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